Dienstag, 12. November 2013

Ein ruhiger winterlicher Tag im Land der 1000 Möglichkeiten

Als ich das Gebäude verlasse empfängt mich klirrende Kälte. Die Luft riecht nach Ski fahren, der Boden glänzt gefroren in den letzten Sonnenstrahlen. Kurze Zeit später färbt sich der Himmel bereits in warmen Farben, strahlt die kleinen Wölkchen an, setzt sie in Szene um sie weiter ziehen zu lassen, bis sie sich irgendwann irgendwo auflösen oder in großen Mengen auf uns niederprasseln.
Die Kälte macht mir nichts aus, entspannt mich, kühlt meinen Körper ab, verwandelt, den von meinem Kopf aufsteigenden, Rauch in zischenden Dampf. Die Stille gefriert meine Ohren. Erst jetzt wird mir die permanente, anstrengende Lautstärke, die im Gebäude klebte bewusst. Kein Vogel macht auch nur einen Pieps. Fast gruselig über einen leeren Campus zu laufen. Aber auch Entspannung! - Wenn da nicht die Bahn wäre, die es zu erreichen gilt. Doch kaum zeigt das Thermometer Minusgrade an sinkt anscheinend auch die Wahrscheinlichkeit der Pünktlichkeit meiner Bahn, so verpasse ich fast meinen Bus, der allerdings zum Glück wie immer unpünktlich kommt. Schön, wenn man sich wenigstens auf Unpünktlichkeit verlassen kann. Um diese Zeit ist der Bus verhältnismäßig leer. Also erhasche ich einen Doppelsitz für mich alleine, auf den ich mich hiefe, um die nächsten zwanzig Minuten aus dem Fenster zu schauen, Musik zu hören - einfach mal nichts tun. Jetzt ist mir alles egal. Ich will nichts lesen, nichts mehr denken, nicht überlegen wann ich welche Aufgabe erledige, oder was ich mir zu essen machen könnte. Ruhe.

Das ist natürlich nicht jeden Tag so! Ich habe große Freude an meinem Studium, Menschen um mich herum, die ähnlich kreativ sind, genieße die Freiheiten des nicht-mehr-Zuhause-wohnens, fühle mich wohl im Süden Deutschlands, unweit einiger toller mir ans Herz gewachsener Leute und bin einfach angekommen in einem "Land der 1000 Möglichkeiten" (wie ich es gerne nenne). Natürlich sind damit auch Nachteile verbunden (ein hoher Arbeitsaufwand zum Beispiel), aber ich fühle mich insgesamt wohl und in einer neuen Welt angekommen. Mit dem "Ld1000M" meine ich, dass ich nah an einer Großstadt mit vielen Kulturangeboten wohne, die mein kleines Uni-Städtchen beinahe genauso bietet, bzw. ergänzt. Mit dem Status des Studenten bekommt man einige Vergünstigungen. Die Uni selbst bietet ebenfalls viele Möglichkeiten, kostenlos oder günstig Dinge zu tun, die man schon immer mal ausprobieren wollte. Der Studiengang bereitet mich auf ein Feld vor, das breit gefächert ist und von dem ich nie gedacht hätte, dass man darin wirklich ARBEITEN kann. Ich bleibe gespannt, wie es sich wirklich in ein paar Jahren mit mir verhalten wird - wo und als was ich arbeiten werde - ob ich einen Bereich finde, von dem ich leben kann und der mich gleichzeitig glücklich macht. Das klingt jetzt beinahe negativ, wsa absolut nicht meinem Gefühl entspricht: Die Dozenten ermutigen uns und geben uns Möglichkeiten mögliche Arbeitsstellen bereits kennen zu lernen und Kontakte zu knüpfen.
Im "Ld1000M" fühle ich mich außerdem gelandet, weil ich nun (endlich) in dem Bundesland wohne, in dem ich tolle junge Filmemacher kenne (Grüßlies!), in dem viele Filmfestivals laufen und ich so in dem Bereich endlich ein Stück weiter kommen kann.
Mein einziges Problem ist, dass ich garnicht so viel Zeit habe, wie es Möglichkeiten gibt. Das Studium gestaltet sich (derzeit) wirklich als Fulltime-Job, der mich fordert und viel Zeit in Anspruch nimmt.

Mein Bus hält mit einem Ruck, der die Frau vor mir beinahe zu Boden schmeißt. Doch sie fängt sich in letzter Sekunde und wir verlassen das überhitzte Uralt-Mysterium von Bus, um wieder von gefrorenem Atem umhüllt zu werden. Häufig überkommt mich der Gedanke, dass die alten Dinger irgendwo ausgemistet werden, um hier auf dem Land ihre Kreise zu drehen, weil man ihnen ihren Ruhestand nicht gönnt. Rente mit 70 - basta!
Mein Absatz hallt auf den Straßen der kleinen Gemeinde, in der ich wohne. Nein kein Großstadt-Leben, kein Studentenwohnheim konnte mich schlucken, auch wenn die Nähe zur Uni und studentischen Aktivitäten täglich neu lockt. Hier gibt es Ruhe. Ruhe und Weinberge. Eine neue Form des Landlebens - nach Wald und Feldern folgen nun Weinberge, die die Täler einrahmen, zieren, verbinden und einen Gegenpol zum schnellen, eindrucksvollen, lauten Leben bieten.





Montag, 11. November 2013

Noch ein paar Meter - eine Wegbeschreibung

Die Türen gleiten mit einem Ruck auseinander und geben den Blick auf einen überfüllten Bahnsteig frei. Meine Füße steigen entschlossen über die Kluft zwischen dieser überfüllten Welt und mir, um sich im Slalom einen Weg zur Rolltreppe zu suchen. (noch 800 Meter)
Wartezeit. Plakate links und rechts an den Wänden. Wissen? Oper! Konzert. Eine Frau stapft an mir vorbei und erhöht so ihre Geschwindigkeit um das doppelte. Ein Sprint um die Ecke. Erneut eine Rolltreppe: Plakate links und rechts an den Wänden, von hässlichen Fliesen umrahmt, werben für Messen, Events und Institutionen. Dann verlassen meine Füße den rollenden Untersatz wieder und streben gen Bahnsteig 15. (noch 700 Meter)
Der Großstadtbahnhof hat mich wieder, umschließt mich, schubbst mich, treibt mich, fliegt mir Tauben in den Weg, zwingt mich durchs Schildermeer seiner Baustellen, lässt keinen Widerstand zu.
Bahnsteig 15. (noch 100 Meter) Suchend blicke ich mich um, laufe weiter. Meine Augen scannen unbewust jedes Gesicht, jede Statur, jede Gangart und Körperhaltung, dann entdecken sie das gesuchte Objekt, (noch 10 Meter) meine Beine steuern darauf zu. Im selben Moment wird das Objekt zum Subjekt: schaut mir direkt in die Augen, ein tiefgehender Blick, man kennt sich! Mein Gesicht hellt sich auf, ist nicht mehr Alltag, nicht Gewohnheitsblick, nicht treibender Bahnhofsstress, ist Freude! Er lächelt, (noch 2 Meter), wartet, (noch 1 Meter) schließt mich in seine Arme. Sein Gesicht hat winterlichte Temperaturen angenommen. Sein Herz pocht nah an meinem.
(noch 0 Meter)